RECENT WORKS DRIFT

Drift (Kunsthalle KarIsruhe V), 2024
Diptych, 2 Digital pigment prints on Photo Archive Paper, mounted on Alu-Dibond, each 118.3 x 60 cm, framed with floating frame
Installation size: 120 x 140 cm (incl. 17 cm spacing)

 

Niklas Goldbach war prädestiniert dafür, die Architektur der Kunsthalle Karlsruhe nach dem Auszug der Sammlung im Jahr 2024 zum Gegenstand eines Kunstprojektes zu machen. Leere Gebäude, Zwischen- und Übergangsräume sind zentrale Bildtopoi seines Schaffens (...) Dass Goldbachs Werdegang mit dem Studium der Soziologie an der Universität Bielefeld begann, deutet seine Disposition für ein künstlerisches Interesse an sozialen Fragen an. Die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen, historischen Vorgängen und urbanen Strukturen, zwischen Stadt- oder Naturlandschaften und Menschen, die in ihnen leben, sich bewegen, sie definieren oder von ihnen definiert werden, macht er zum Thema.
Diese Projekte sind meist seriell und systemisch angelegt. Als er im November 2024 das menschenleere Treppenhaus, die kalten Büros, die verlassenen Ausstellungsräume und die Phalanxen der Transportkisten in der Kunsthalle mit der Kamera erkundete, betrat er einen mehrdeutigen Raum. Letzte, lose baumelnde Drahtseile vor grünen Stuccolustro-Wänden, aufgebrochenes Parkett, in kleinen Fenstern freigelegtes Mauerwerk, halb entkleidete Luftbefeuchter, Miniaturgebirge aus grauem Aushub, die Vorhänge im Treppenhaus auf Halbmast. Auf seinen Fotografien fanden sich nur noch Spuren der Kunstwerke, ihrer Präsentation und Vermittlung, Umrisse oder Hängevorrichtungen auf der Wand, ein Wandtext ohne Adressaten. Durch den radikalen Funktionsverlust war dieses Haus in den Zustand der Liminalität eingetreten, eine Schwellensituation, nicht mehr und längst noch nicht wieder Museum. Damals vor allem ein wartender Bau – eine „Unbestimmtheitsstelle“.

(...) Niklas Goldbachs Foto-Serie Drift greift diesen Aspekt der Kunsthalle in einer kongenialen Struktur auf. Und nicht zuletzt durch diese wurde der Reihentitel Mind the gap auch mit inspiriert. Die querformatigen Fotografien zerschnitt Goldbach während der Bildbearbeitung und entnahm jeder Aufnahme ihre Mitte. Die so entstandenen zwei Teile des einen Bildes driften auseinander und werden einzeln gerahmt. Es entsteht ein Diptychon um eine Leerstelle. Der Blick driftet und mit ihm die Erinnerung an diesen Raum. Die zwei Teile eines Diptychons kommunizieren klassischerweise miteinander. Hier kommunizieren die Fotografie-Fragmente über ihr verlorenes Zentrum, das ‚missing link‘ (hinweg). Goldbachs geteilte und um ihre Einheit gebrachten Bilder präsentieren einen Schnitt durchs Kontinuum des Raumes und des Bildes, eine Zäsur auch in der Zeit und lassen so zweierlei entstehen: Erstens eine häufig frappierend geschärfte, verwandelte Sicht auf den Rest-Raum in den jeweils beiden Bildteilen, der ebenso detailliert wie dekonstruiert ins Bewusstsein tritt – übrigens in einer stillen, zwecklosen Schönheit, wie für sich zur Ruhe gekommen. Ein Raum, der sich selbst gehört. Zweitens eine erhebliche Wahrnehmungsirritation und -aktivierung. In der Selbstbeobachtung wird klar, dass diese Konstellation Betrachter:innen neurophysiologisch animiert, in einer andauernd oszillierenden Bewegung das Unverbundene zusammenzudenken. Das Fehlen wird regelrecht körperlich spürbar. Der Blick weist seine reflexhaft teleosemantische Dynamik auf: Auge und Gehirn arbeiten zielgerichtet darauf hin, raumlogische Konsistenz zu erzeugen, Bedeutung als Ordnung zu generieren, denn sie gewährleistet Orientierung und Sicherheit und scheint physisch und psychisch erstrebenswert. Der Drang, die Kluft zu überbrücken, rückt die Betrachter:innen selbst als Bindeglied ins Herz des Werks. Wer den Raum kennt, kann die Lücke aus dem Gedächtnis schließen, durch Erinnerung kompensieren – es entsteht ein virtuelles Doppelbild. Goldbach forciert die Präsenz der Absenz. So wird die Anlage zu einem Synonym sowohl für Abwesenheit als auch für die imaginative Energie, die durch sie freigesetzt wird (...) In Drift wird die Leere als Lücke installativ prominent gemacht. Goldbach knüpft dabei sowohl an die Leere als Topos der Moderne (etwa Yves Kleins Le Vide) als auch an einen veränderten Bildbegriff an, einer in situ gedachten analytischen Malerei, die das Verhältnis von Bild als Objekt zu Rahmen, Wand und Raum reflektiert (man denke an Robert Ryman). Drift ersetzt die Wände der Kunsthalle durch die Wand des jeweiligen aktuellen Ausstellungsorts ihrer Abbilder, die diese aktuelle, andere Wand gleichsam einklammern.

(...) Die Serie der Kunsthallen-Bilder gehört zu einer Werkreihe, die Goldbach kurz vor seinem Besuch in Karlsruhe begann. Inspiriert wurde diese Methode des Eingriffs ins Bild durch eine Beobachtung. Vor dem Berliner Techno-Club „Tresor“ entdeckte er eine modifizierte Reproduktion von Baldassare Peruzzis Apollon und die Musen, eines um 1514-1523 entstandenen Gemäldes, das im Palazzo Pitti in Florenz hängt und hier als Motiv eines Werbebanners diente. Besucher hatten die Bildfläche ausgewählt, um nach durchtanzter Nacht beim Verlassen des Clubs jene Aufkleber loszuwerden, die dem Abkleben der Handy-Kameras dienen. Das digitale Auge der potenziellen Öffentlichkeit oder des eigenen Erinnerns wird verschlossen. Die im Reigen mit dem Lichtgott tanzenden Musen wurden durch die aufgeklebten Farbpunkte mit Unbestimmtheitsstellen übersät – wobei manche Besucher:innen offensichtlich ihre Buttons sehr gezielt auf Augen, Mund oder Ohr der Figuren applizierten. Goldbach fotografierte, separierte und potenzierte damit die Gesten der Auslassung, des Tilgens, die Unbestimmtheitsstellen.

Kurz darauf entstand eine weitere Werkserie dieses Typs aus drei Porträt-Fotografien seiner Mutter in jungen Jahren. Niklas Goldbach hatte die Bilder nach dem Tod seiner Mutter, die an Demenz erkrankt war und 2024 starb, von einer Cousine erhalten – ihm unbekannte Bilder. Sie zeigen die Mutter vermutlich im Jahr der Geburt des Künstlers. Goldbach schuf mit seiner Methode hier ein doppeltes, sehr persönliches und gravierendes Bild des Verlustes, des Abdriftens, des Einschnitts, der Absenz von Erinnerung. Denn die fehlte nicht nur der Mutter am Ende ihres Lebens schmerzlicher Weise gänzlich, sondern auch dem Sohn in Bezug auf jenen Lebensabschnitt der Mutter, der in jenen Fotos aufgehoben war. (...)

Auszüge aus:
Kirsten Claudia Voigt: Leerstelle, ars memoria und liminaler Raum. Niklas Goldbachs Drift und Arnold Stadlers Die Welt war der Ort, wo wir uns in der Zeit verloren, Publikation anlässlich der Ausstellung Niklas Goldbach. Drift, Teil 1 der Ausstellungs-Reihe Mind the Gap der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe im ZKM.
5.7.2025–12.10.2025

 

Drift (Apollo e le Muse I - III), 2024

Series of 3 diptychs, digital pigment prints on Photo Archive Paper, mounted on Alu-Dibond, each 118.3 x 60 cm, framed with floating frame
Installation size: 120 x 140 cm (incl. 17 cm spacing)
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Drift (Heide I - III), 2024

Series of 3 diptychs, digital pigment prints on Photo Archive Paper, mounted on Alu-Dibond, each 118.3 x 60 cm, framed with floating frame
Installation size: 120 x 140 cm (incl. 17 cm spacing)
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Drift (Kunsthalle Karlsruhe I - XIV)

Series of 14 diptychs, digital pigment prints on Photo Archive Paper, mounted on Alu-Dibond, each 118.3 x 60 cm, framed with floating frame
Installation size: 120 x 140 cm (incl. 17 cm spacing)
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EXHIBITION VIEWS

“Niklas Goldbach: DRIFT. Mind the Gap I"
Kunsthalle@ ZKM Karlsruhe
Solo Show, Opening 4.7. 2025